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War die ganze Austerität umsonst? Wirtschaftliche Glaubenssätze und die Modern Monetary Theory

Die Budgetbeschränkung des Staates – wer ist ihr nicht schon einmal begegnet. Doch wie kann ein Staat eine Budgetbeschränkung haben, wenn er Geld selbst schafft? Und zu welchen wirtschaftspolitischen Massnahmen wäre er als souveräner Währungshüter eigentlich fähig? Diesen Fragen widmet sich die Modern Monetary Theory (MMT) und stellt damit die Volkswirtschaftslehre auf den Kopf. Oder vom Kopf zurück auf die Füsse?

Erschienen in den OecNews der Uni Zürich

Der Staat ist nichts als ein grosser Haushalt; er muss Ausgaben durch Steuern finanzieren und sich verschulden, wenn die Ausgaben höher sind als die Einnahmen. Diese Schulden müssen dann spätere Generationen abtragen. Mit dieser Aussage haben PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen eine Austeritätsmassnahme nach der anderen gerechtfertigt, denn niemand lebt gerne auf Kosten der Jungen. Die Modern Monetary Theory lässt an dieser Darstellung Zweifel aufkommen.

Am Anfang steht die Feststellung, dass entwickelte Staaten heute Fiat-Währungen besitzen. Diese sind nicht durch Gold oder andere reale Werte gedeckt. Die BürgerInnen halten Geld in der gesetzlichen FIAT-Währung damit sie ihre Pflicht erfüllen können: Steuern zu bezahlen. Weil praktisch jede und jeder Steuern bezahlen muss, nehmen wir die gesetzliche Währung als Zahlungsmittel an. Die MMT stellt fest: «Taxes drive money».

Weiter stellt die MMT den geläufig angenommen Mechanismus der Staatsausgaben auf den Kopf. Laut der MMT finanziert der Staat seine Ausgaben nicht mittels Steuern. Im Gegenteil, der Staat muss via Zentralbank in einem ersten Schritt immer Geld schaffen, damit er es ausgeben kann. Investiert oder konsumiert er, fliesst Geld auf das Konto der BürgerInnen und Unternehmen. Erst dadurch erhalten diese die Möglichkeit, Steuern in der gesetzlichen Währung zu bezahlen.

Weil Steuern auf Löhne und Gewinne erhoben werden, fliesst je nach Aktivitätsniveau der Wirtschaft ein kleinerer oder grösserer Teil des Geldes zurück zum Staat. In einer geschlossenen Volkswirtschaft addieren sich alle Schulden und Finanzvermögen insgesamt zu null. Will der private Sektor nun sparen, also mehr einnehmen, als er ausgibt, so muss der Staat zwangsläufig mehr ausgeben, als er einnimmt, also ein Defizit machen. Dem kann er nun auf verschiedene Arten begegnen: Entweder er verhindert Ersparnisbildung im privaten Sektor, indem er Steuern erhöht oder seine Ausgaben senkt und damit das Defizit auf Kosten des privaten Sektors abwendet. Oder er verkauft Staatsanleihen an den privaten Sektor. Oder er wirft die Druckmaschine an und begleicht sein Defizit mit neu geschaffenem FIAT-Geld.

Damit hat der Staat verschiedene Möglichkeiten, mit einem gegebenen Defizit umzugehen, durch Steuern, Anleihenverkauf oder neu gedrucktes Geld. Verschuldung an den Kapitalmärkten ist also eine Wahl, keine Pflicht.

Bei allen guten Ökonomie-StudentInnen beginnen da natürlich die Alarmsirenen zu schrillen: Inflation! Weimarer Republik! Zimbabwe! Wir haben doch gelernt, dass die Monetarisierung von Staatsschulden in die Hyperinflation und damit zur Katastrophe führt. Tatsächlich ist die Inflation die wichtigste Sorge der MMT-ÖkonomInnen. Inflation entsteht, wenn die nominale Nachfrage die Produktionskapazitäten der Wirtschaft kontinuierlich übersteigt. Um dies zu verhindern, wurde lange die «natürliche Arbeitslosigkeitsrate» propagiert. Die Idee dahinter: Sind genügend Menschen ohne Arbeit (Reserve-Kapazität), ist die Nachfrage nach Jobs genug hoch, sodass jede Arbeiterin und jeder Arbeiter zufrieden ist überhaupt eine Stelle zu haben. Auf die Idee, höhere Löhne einzufordern kommt die Arbeiterschaft nicht, solange sie die abschreckende Arbeitslosigkeit vor Augen hat. Deshalb bleiben die Löhne gleich und es kommt nicht zu Inflation, da die Nachfrage stagniert.

Dies ist der klassische Zusammenhang der Phillips-Kurve. Eine Voraussetzung dafür ist die niedrige Verhandlungsmacht der arbeitenden Bevölkerung. Ansonsten würde die Konkurrenz zwischen den KapitalistInnen um den Produktionsfaktor Arbeit einen Bietungswettlauf bei den Löhnen verursachen.

Folgt man dieser Theorie, dann sollte weder die Arbeitslosigkeit eliminiert, noch die Verhandlungsmacht der ArbeiterInnen erhöht werden – aus Sorge vor Inflation. Dass dieser Mechanismus so funktioniert wird aber zunehmend in Frage gestellt, auch durch die MMT; ein Grund dafür liegt in der Komplexität des ökonomischen Systems (siehe dazu Damian Durrers Text in der aktuellen OecNews).

Statt die katastrophalen Folgen der Arbeitslosigkeit für Individuen und die Gesellschaft in Kauf zu nehmen, schlagen einige VertreterInnen der MMT deshalb eine staatliche Vollbeschäftigungsgarantie vor. Mit selbst geschaffenem FIAT-Geld kann der Staat freie Arbeitskraft für gesellschaftlich sinnvolle Projekte einsetzen. Diese dient währenddessen als Reservekapazität, auf die der private Sektor zurückgreifen kann, sobald er expandiert und auf zusätzliche Arbeitskraft angewiesen ist. Verdienen ArbeiterInnen in der Jobgarantie einen politisch festgelegten Lohn, können KapitalistInnen diese ArbeiterInnen bei Bedarf ohne weiteres übernehmen. Sie müssen sich dazu aber nicht in einen Bietungswettlauf mit dem Staat begeben, da dieser Löhne nicht schneller als die Inflations- und Produktivitätswachstumsrate erhöhen darf. So wird Inflation mit einem atmenden, sich der konjunkturellen Lage anpassenden Pool an beschäftigten statt arbeitslosen Personen bekämpft.

War all die Austerität also umsonst? Hätte ein Land wie Griechenland mit einer Jobgarantie ganz einfach längst überfällige Projekte angehen können, statt grosse Teile der Bevölkerung und insbesondere der Jugend ökonomisch ins Verderben zu stürzen? Wären die arbeitslosen AkademikerInnen nicht besser damit beschäftigt gewesen, ein Katasteramt einzuführen, die erneuerbaren Energien auszubauen und Griechenland zu einem nachhaltigen Tourismusland zu machen, wie dies Finanzminister Varoufakis und einige bekannte ÖkonomInnen vorschlugen? Aus ökonomischer Sicht erscheint dies durchaus sinnvoll. In der politischen Realität sind aber einzelne Länder des EURO-Raumes nicht in der Lage, Austerität abzuwenden, da sie ihre ihre souveräne Geldpolitik gemeinsam mit ihrer Landeswährung aufgegeben haben. Um von der Austerität abzukehren, ohne mit dem EURO zu brechen, wäre deshalb ein Politikwechsel in Frankfurt und Brüssel vonnöten. Für Länder mit souveräner Währung wie die Schweiz würden MMT und die Jobgarantie jedoch bedeuten, dass Arbeitslosigkeit unseren Lebensstandard unnötig einschränkt und vermeidbares Leid verursacht. Die Modern Monetary Theory gehört deshalb sofort auch an unsere Unis, muss gelehrt und kritisch diskutiert werden.


Quellen und weiterführende Literatur