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TTIP – oder wieso die Linke zurück zu den Leuten muss

Heute im Zug – zwei Herren im Anzug diskutieren. Das politische Spektrum sei ein Kreis, sowohl Linke als auch Rechte seien vor allem Verschwörungstheoretiker. Die FDP in der Schweiz sei liberal (wer mich kennt weiss: nicht mehr lange, dann schaltet er sich ein) und der europäische Nationalismus «eine Tragödie» (Punkt für dich, Anzugsträger!). Meine Hoffnung steigt – nun folgt bestimmt ein schonungsloses Herziehen über Front National, Ukip, PEGIDA und alle anderen Ewiggestrigen… Fehlanzeige!

«Wieso wir uns zum Preis einer hintertriebenen Demokratie, eines gestutzten Konsumentenschutzes und sinkender Umweltstandards ein Wirtschaftswachstum in der Höhe von Null erkaufen sollen, bleibt schleierhaft.»

«Nun wehren sich sogar die Linken gegen TTIP – das sind die wahren Nationalisten». Ich, direkt angesprochen, schalte mich in die Diskussion ein (Monolog zu zweit wäre wohl der treffendere Begriff, spricht doch praktisch nur einer der Herren). Ob er sich denn mit TTIP auseinandergesetzt habe? «Nein, aber ich bin für Freihandel». Ach ja? Es gibt ja auch nichts schöneres als ein Wort bestehend aus «Freiheit» und «Handel = Prosperität».

Was mich aber ein wenig erstaunt: Die Frage nach dem Preis möchte der Herr nicht stellen. Er scheint zwar viel von Investitionsentscheiden und Unternehmensführung zu verstehen. Dafür bezahlt er die (bestenfalls) inhaltsleere Worthülse «Freihandel» mit seiner Kreditkarte. Ohne Blick auf das Preisschild.

Ich entschiede mich für einen gemächlichen Einstieg und frage nach den Vorteilen des Abkommens. Der Anzugsträger sieht neue Exportkanäle für Griechenland und damit einen Ausweg aus der EURO-Krise. Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Krugman meint dazu: «Suspicious Nonsense». Da Freihandel sowohl Export- als auch Importkanäle öffne, seien konjunkturelle Impulse kein Thema. Zusätzliches Wachstum versprechen sich zumindest unabhängige Ökonomen von TTIP kaum.

Prosperität bringt uns TTIP also keine.

Und wie steht es um die Freiheit?

Hier hat TTIP einen sehr schweren Stand. Als ich auf die Investitionsschutzklausel zu sprechen komme, die Konzernen aus dem Ausland das Einklagen von politischen Entscheiden in andern Ländern ermöglicht, weiss der zurückhaltende der beiden Herren genau, von was ich spreche. Er ist Deutscher und erklärt mir, dass solche Klagen (siehe Vattenfall) schon heute möglich seien. Dass Deutschland und Schweden bezüglich Regulierungen doch etwas mehr Ähnlichkeiten aufweisen als EU und USA scheinen die beiden dann zu verstehen. Vielleicht erkennen sie jetzt ja, wieso wir uns gegen «noch mehr Freiheit» einsetzten. Des einen Freiheit ist nun mal des anderen Gefangenschaft. Damit Konzerne wie Vattenfall frei sein können, muss das  Individuum in unserer Gesellschaft Teile seiner Freiheit aufgeben.

Ich habe keine grundsätzliche Abneigung gegen Freihandel. Aber jeder halbwegs gewitzte Mensch macht in solchen Situationen eine Güterabwägung. Wieso wir uns zum Preis einer hintertriebenen Demokratie, eines gestutzten Konsumentenschutzes und sinkender Umweltstandards ein Wirtschaftswachstum in der Höhe von Null erkaufen sollen, bleibt schleierhaft – dieses Problem schienen die beiden ebenfalls erkannt zu haben, als ich den Zug verliess.

Doch was lernen wir aus solchen Begegnungen?

Die Linke muss versuchen, die Menschen mit vernünftigen Ideen ins Boot zu holen. Das kann nur funktionieren, wenn unsere Basis weiter wächst und bereit ist, Vorurteile und Falschannahmen mit Geduld und Verstand zu widerlegen. Es funktioniert. Und es lohnt sich!